Über das Projekt
Die Anfälligkeit für Infektionskrankheiten bei Geflüchteten hängt vom Herkunftsland sowie den Fluchtrouten und -bedingungen ab. Meist fehlen Informationen über die spezifischen medizinischen Bedürfnisse der jeweiligen Fluchtgruppe. Wir untersuchten die Prävalenz von Infektionskrankheiten, die Immunität gegen durch Impfung vermeidbare Krankheiten und chronische Erkrankungen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen Geflüchteten aus der Ukraine, die im Jahr 2022 nach Deutschland kamen. Die erhobenen Daten ermöglichten die Identifizierung spezifischer medizinischer Bedürfnisse dieser Kriegsgeflüchteten sowie die Formulierung von Empfehlungen für Akteure im öffentlichen Gesundheitswesen und in der Politik.
Das wichtigste im Überblick
Mit Hilfe verschiedener sozialer Medien rekrutierten wir von September bis Dezember 2022 ukrainische Geflüchtete an 13 deutschen Standorten. Mit entscheidend für den Erfolg war die Ausbildung und Einbeziehung von muttersprachlichen Dolmetschern bei der Rekrutierung und der Erklärung der informierten Patienteneinwilligung. Es wurden ein Antigentest auf eine Infektion mit dem Coronavirus des akuten respiratorischen Syndroms Typ 2 (SARS-CoV-2), Serologien für eine Reihe von durch Impfung vermeidbaren Krankheiten sowie Interferon-Gamma-Freisetzungstests (IGRAs) für Tuberkulose (TB) und SARS-CoV-2 durchgeführt. Außerdem untersuchten wir die persönliche und familiäre Vorgeschichte von chronischen Erkrankungen, Infektionskrankheiten, den Impfstatus und die Bedingungen während der Flucht.
Diese Studie ermöglichte den Aufbau und die Validierung einer vollständigen Infrastruktur für die rasche medizinische Untersuchung einer großen Gruppe von Geflüchteten im ambulanten und stationären Bereich, einschließlich Unterkünften und Gemeinschaftsunterkünften. Die in NU(M)KRAINE entwickelten Konzepte für die mobile Rekrutierung und Verfügbarkeit von Ausrüstung und Logistik für diagnostische Proben in solchen Umgebungen können für die weitere Entwicklung des NUM genutzt werden, z. B. unter neuen Pandemiebedingungen mit Abriegelung sowie von regionalen öffentlichen Gesundheitseinrichtungen mit Verantwortung für Geflüchtetenunterkünfte.
Zahlreiche infrastrukturelle Aspekte, wie die Interaktion mit Gruppierungsmerkmalen (Flüchtlingsgruppen), die Integration IT-kompatibler Fragebögen in mehreren Sprachen, die Ausbildung und Einbeziehung von muttersprachlichen Dolmetschern bei der Rekrutierung und informierten Patienteneinwilligung, die Kommunikation über soziale Netzwerke, die Einbeziehung und der Austausch mit verschiedenen regionalen Gesundheitsbehörden unter vergleichbaren Bedingungen konnten implementiert werden. Diese werden in zukünftigen prospektiven epidemiologischen Studien von Nutzen sein. Derzeit reichen die Projektpartner einen EU-Antrag ein, in dem die Aspekte und Erfahrungen aus NU(M)KRAINE in ein transnationales EU-Netzwerk für Infektionskrankheiten einfließen.
Highlights
Insgesamt wurden 1.793 Flüchtlinge (1.401 Erwachsene und 392 Kinder/Jugendliche) einbezogen. Die meisten Teilnehmer waren weiblich (n=1.307; 72%) und kamen aus der Ost- oder Südukraine. Der Interferon-Gamma-Release Assay auf Tuberkulose war bei 13% (n=184) der Erwachsenen und bei 2% (n=7) der Kinder positiv und damit auffällig. Die serologische Immunantwort war bei etwa 21 % (360/1793) der Teilnehmer unzureichend für Masern, bei 32 % (572/1793) für Diphtherie und bei 74 % (1.289/1.793) für Hepatitis B.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir Beweise für eine geringe serologische Reaktion auf impfpräventable Infektionen und eine erhöhte Prävalenz von latenter Tuberkulose bei ukrainischen Geflüchteten gefunden haben. Diese Ergebnisse sollten in die Leitlinien für das Screening und die Behandlung von Infektionskrankheiten bei Migranten und Geflüchteten in Deutschland und Europa aufgenommen werden. Darüber hinaus erfordert die geringe Immunität gegen impfpräventable Krankheiten bei Ukrainern unabhängig von ihrem Flucht-status maßgeschneiderte Kommunikationsmaßnahmen. Diese Erkenntnisse können Politikern und Fachleuten des öffentlichen Gesundheitswesens als Orientierungshilfe dienen.